Wie eine Hand mit was weiß ich wievielen Fingern #flussnoten

[Irli] Ist die Leiche noch da?

Hä? fragt Frau SoSo.

Ich bin noch im Aufwachmodus, nicht klar bei Sinnen. Aber da sind noch die drei dunklen Gestalten mit den Umhängen. Die Leiche muss fünfzig Meter hinterm Zelt liegen. Ich habs genau gesehen wie sie sie ablegten.

Da ist nur ein Fels, sagt SoSo, sonst nichts.

Acht Mal den Rhein überqueren. Zu Fuß. An einem Tag. Das geht wohl nur hier oben im Quellgebiet des Vorderrheins. Die spektakulärste Überquerung dürfte wohl die erste sein, direkt bei der Quelle am Lai da Tuma, dem Tomasee. Mit Getöse stürzt der junge Fluss über Kaskaden in ein weites Hochtal, wo sich weitere Rinnsäler dazu gesellen. Sie alle heißen irgendwas mit Rein, Rain oder Rhein. Man spricht romanisch in dieser Gegend, erklärt uns ein Wanderer. Bundy heißt guten Tag. Sofort muss ich an Al Bundy aus einer amerikanischen Sitcom denken und kann mir den Gruß so merken, auch wenn es wohl eher Buon Di oder ähnlich geschrieben wird. Wie Finger, die sich in der Handwurzel vereinigen, treffen sich viele kleine Rheine im Vorderrheintal, das ab Tschamut langsam Gestalt annimmt. Über teils holprigste Pfade kraxeln wir von 2350 Meter stets abwärts, was fast genauso anstrengend ist, wie aufwärts und ziemlich in die Gelenke geht mit den schweren Wanderrucksäcken. Kein Schatten. Sonne sticht. Haut brennt.
Kurz vor Tschamut erste Bäumchen. Wie hoch? Vielleicht 1800 Meter. Bauern holen das Heu vom Feld, schleifen es per Hand auf Plastikplane quer über die Straße. Alles wartet. Motorradfahrer schwitzen. Cabriolets, Familienkutschen, ein Bus. Einer der Heuernter krault seinen halbmeterlangen weißen Bart. Neben der Straße wird das Heu maschinell zu Ballen gepresst, wohl weil man nicht mit dem Traktor auf die Wiese fahren kann. Sonntagsstille. Wandergruppen. Pfadfinder en Masse mit militärischem Befehsjargon. Stillgestanden! Im einzig offenen – ja was ist das? – eine Bewirtungsterrasse unter Sonnenschirmen direkt an der Passstraße pausieren wir. Volksmusik. Schilder überall: ‚Wir nehmen keine Kreditkarte‘ – ‚Kaffee nur 3.50‘ – ‚Nichts und weiß nicht kostet 5 Franken‘ – ‚Dies ist kein Kiosk‘ und an der Tür zum Klo ein Schild, dass man den Schlüssel beim Wirt holen muss. Nicht sehr gastlich. Aber vor der Terrasse pulsiert ja auch ein hektischer, lärmender, immermahlender Touristenstrom. Man muss der manchmal dummdreisten Selbstgefäligkeit der Städter eben etwas entgegensetzen. Seien es nur Schilder, die die ‚frequently asked questions‘ beantworten.

Das Nachtlager erreichen wir mit letzter Kraft unterhalb des Golfplatzes Tschamut. Direkt am Wanderweg unter einem unheimlichen, verdorrten, schräg hängenden Baum. Gewitter. Regen. Dunkelheit. Vom Wanderweg zweigt ein Pfad ab. Da niemand mehr unterwegs war am Abend, bauten wir das Zelt direkt am Pfad auf. Der Platz weiter vorne gehört den Insekten, die im Sand zahlreiche Löcher gebohrt haben. Ameisen? Solitärbienen? Ameisenlöwen. Wir können diese Hochkultur nicht einfach platt machen, indem wir unser Zelt auf ihre Nascalinien stellen, denke ich.

Nachts dann doch Wanderer. Immer wieder tappt jemand am Zelt vorbei. ‚Psscht‘ sagen sie. Sonst nichts. Sehr rücksichtsvoll eigentlich. Taschenlampen. Blitze. Donner. Regen. Halb vier bin ich draußen. Sternenhimmel. Klare Luft. Geräusche wie von Wildsäuen oder bellenden Rehen kommen aus dem Waldpfad hinterm Zelt. Aber von Menschen imitiert. Taschenlampen wieder. Drei düstere Gestalten kommen auf mich zu. Zischeln auf Schwiizerdütsch. Röcheln. Grunzen. Sie tragen Umhänge und Totenkopfmaskenund sie schleppen etwas. Oder Jemanden? Eine Leiche! Mein verflixtes Krimihirn. Sie legen es oder Ihn oder Sie fünfzig Meter hinterm Zelt ab.

‚Die haben eine Leiche‘, sag ich zur halbschlafenden SoSo. ‚Das sind Pfadfinder auf Nachtübung‘, knurrt sie, träum weiter.

5 thoughts on “Wie eine Hand mit was weiß ich wievielen Fingern #flussnoten


  1. So klärt sich zumindest die Gruselepisode der Nacht …

    Und die FAQ-Schilder finde ich so daneben, daß sie schonwieder gut sind. ?


  2. Geht man raus, kann man was erleben – sagten schon die alten….Weißichnichte!
    Freude, hier ein bisschen mitreisen zu dürfen!


  3. Eigentlich nicht zum Lachen, so ein Gruseltraum, und dennoch …
    euch einen guten Tag ohne unfreundliche Schilder und Touristenmassen, geschweige denn Pfadfindern … auch so eine Spezies für sich!
    Einsamkeit zur Ferienzeit zu finden ist wohl nicht so einfach?!
    liebe Grüsse an euch Zwei
    Ulli


  4. zu soso´s blasen. ich hae gute erfahrungen damit gemacht, dass ich die seitlich mit einer nadel aufsteche und dann die ganze blase mit umgebung mit hansa-oder leukoplast (das hautfarbene gewebeband. mit anderen kunststoffähnlichen habe ich schlechte erfahrung gemacht, außerdem kleben die nicht so gut und passen sich auch den rundungen am fuß an.
    ansonsten noch ein tip. bei den pausen ruhig die schuhe und strümpfe ausziehen. das ist ein tip eines wüstenwanderers. der empfahl 10 minuten pause je stunde. ich kriege das auch nie hin, wenn ich am laufen bin, dann ruhe ich mich mal einen moment aus und dann will ich aber weiter.
    guten reisewind


    1. Ich habe vor Jahren das Spezialblasenpflaster entdeckt, das sich wie eine Haut auf die Blase legt. Aufstechen tu ich je nach Bedarf auf. Wenn unterm Fuß, dann eher nicht.
      Das mit den Pausen machen wir genauso wie es der Wüstenwanderer sagt. Ich bin echt super im
      Pausen machen!
      Danke dir fürs Mitfühlen und die guten Tipps!

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