Outdoor 4.0 – der Campingplatz der Dinge by Irli | #flussnoten

Vorbei an Liechtenstein. Das kleine Fürstentum ‚klebt‘ geradezu am Fels. Vom Rheinufer betrachtet, scheint es nur aus einem Streifen landwirtschaftlichgenutzten Landes zu bestehen und einem Minibergmassiv mit Felswänden, garniert von Tannenwald. Hie und da ein Fetzen Au, den der Mensch gnädig wie Krümel auf dem Teller zurückgelassen hat für das Getier.Ungespülte Lande, die man achtlos nach dem rauschenden Fest des Abends in den Spültrog geräumt hat.

Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht, tönt es laut aus dem Fenster eines alten Holzhauses am Ortsrand von Buchs. Frau SoSo und ich sind über einen verwachsenen Pfad hinaufgestiegen zum Friedhof von Buchs, gleich hinter der strengen, rosafarbenen Kirche mit dem spitzen Turm. Die Uhr schlägt neun. Dorfgeräusche garnieren den Blick, der weit in die Ebene reicht. Links Berge, rechts Berge, dazwischen das breite Alpenrheintal. Straßenlaternen gehen an. Licht aus allen Fenstern. Das Menschenland geht in den Feierabend. Die Party im Holzhaus dröhnt. Man singt mit. Aaaber unsere Liiiehiebe nicht. Motorradjaulen. Töff, wie das Motorrad hierzulande heißt. Ich erzähle Frau SoSo, dass es einst verboten war, Marmor, Stein und Eisen auf dem Oktoberfest zu spielen, wegen des grammatikalischen Fehlers. Eigentlich müsste es nämlich heißen ‚Marmor, Stein und Eisen brechen‘. Ich weiß nicht, ob das wahr ist. Es war eine Frage in einer Quizshow, die ich einmal aufgeschnappt habe.
Unser Campingplatz liegt mitten in der Siedlung. Umringt von Wohnhäusern. Er ist winzig. Er ist dreieckig. Am Rand stehen Wohnwagen und Vorzelte der Dauercamper. Dann der dreieckige Weg, vielleich zweihundert Meter im Umfang. In der Mitte die Wiese für Tagesgäste. Auch hier Wohnwagen und ganz im Zentrum die Zelte der Europenner. Ein paar Picknickbänke und ein vier mal vier Meter großer Pavillon, den wir uns aneignen. Wie eine dreieckige Zwiebel sieht der Campingplatz aus.

Als wir ihn vorgestern um die Mittagszeit erreichten, war die Zeltwiese noch leer. Zwei Frauen vor riesigen Wohnwägen putzten. Alles. Bettwäsche abziehen. Zur Waschmaschine laufen. Welch seltsame Wagenburg. Ein Ventilator surrt in einem Vorzelt. Niemand da, den er kühlen könnte. Strom kostet nicht extra. Umstarrt von Satellitenschüsseln – übrigens kann man am Stand der Satellitenschüsseln exakt die Himmelsrichtung bestimmen. Outdoor 4.0. allerlei Gegenstände, so dass es uns fast gruselt, was unsere Mitmenschen alles mitschleppen in die Ferien: Golfausrüstung, abgedeckte Motorräder, ein steinerner Buddha auf Campingtisch, eine Zinnkanne – würden Sie eine metergroße Zinnkanne mit in den Urlaub nehmen? 
Campnachbar Marvin mag so 17, 18 Jahre alt sein. Stolz fährt er mit dem Segway die dreißig Meter bis zum Waschhaus. Vier rote Golfbälle zieren die Wiese. Vor jedem Wohnwagen trotzt ein chromglänzender Grill dem nahenden Gewitter. Dann der Regen. Im Pavillon sitzen wir trocken und starren an gegen das mutmaßliche Starren aus den Fenstern der Wagenburg. Die Frauen haben fertig geputzt. Nun dudelt der Flachbildschirm. Terroronachrichten, Massaker, Messerattacken, Machetengemetzel, Psychopaten, Amokläufe, eine Vermisstmeldun, viele Verletzte. Wie es aus der Kiste rieselt, artikuliert es sich auch in den Mündern der Campinggäste.
Der Gewitterregen lenkt ein bisschen ab. Eines der Vorzelte steht unter Wasser und nun wischen drei vier Männer das Wasser weg. Marvin faulenzt in seinem klimatisierten Wohnwagen. Der Ventilator ist endlich aus. Unter der halbhohen Plane des Vorzelts sieht man die schneeweißen Adidasschuhe der Männer, umtänzelt vom Wischmob. Hektischer Lärm und Unmut, fast wie bei einem Wohnungsumzug,wenn sich das Sofa im Treppenhaus verkantet. Schuldpingpong des Unabänderlichen.Als ob nicht auch Geduld ans Ziel führen könnte.

Wir müssten einander nicht anschreien, wir Menschen, wenn es uns gelänge, kollektiv uns selbst zu finden. In uns zu ruhen, alle gemeinsam, jeder in seinem eigenen, zwiebelhaften Kern. Aber das sind Wege, die so lang sind, dass nur wenige Menschen bereit sind, sie zu gehen … ach was, Wege, die niemals enden.

Und es gibt genug Möglichkeiten, einfach stehenzubleiben, zu sagen gut so, das ist nun mein Standpunkt.

Umringt von Gegenständen, so kommt es mir vor, fristen wir gemeinsam ein schlimmes Zwangsdasein, die Zwiebelschale der vierten Dimension, Beinprothesen des Kapitalismus, Motor, den wir antreiben und dessen Teil wir gleichzeitig sind. Marvins Segway steht im Regen. Jemand räumt ihn ins Vorzelt und wir haben die Golftasche in den Pavillon gerettet. Trotz Gewitters ist es unheimlich schwül. Alles schwitzt. Ich halte es für eine gute Idee, die Bettwäsche täglich zu wechseln und die Spuren des Alltags von all dem Chrom, dem Buddha, dem silbernen Teekännchen und der merkwürdigen meterhohen Kanne abzuwischen. Das lenkt ein bisschen ab.

6 thoughts on “Outdoor 4.0 – der Campingplatz der Dinge by Irli | #flussnoten


  1. Es gibt genug Möglichkeiten, einfach stehenzubleiben, zu sagen gut so, das ist nun mein Standpunkt.

    Satz für die Ewigkeit.


  2. Ich kann mich Emil nur anschliessen, allerdings werde ich nicht zur Salzsäule erstarren, da ich ja weiss, ein Standpunkt ist auch nur vorübergehend … öhm, oder ich gehe an ihm vorüber, später dann … zu einem anderen … herrjeh, da siehst du mal wieder, was deine Schreibe mit mir macht! Ulli lacht …
    Und wie ich all dieses Seltsamtreiben der euch umgebenden CamperInnen lese, wird vor mir eine Szene lebendig, die fast vergessen war, es war auf einem Campingplatz in Norwegen. Wir haben echt gestaunt wieviel man an einem Tag wischen und waschen kann und seufzten: ach so ist Urlaub!
    Jeder und jedem die eigene Komfortzone und wenn es denn mit den täglichen Horrornachrichten sein muss. Ich brauch das nicht täglich, weder während der Alletage, und schon gar nicht in den Ferien!
    Herzlich grüsse ich euch
    Ulli


  3. Ist das noch Urlaub, wenn man sozusagen Zuhause (nur) auf den Campingplatz verlegt? Fuer mich jedenfalls nicht. „Urlaub“ heiszt fuer mich auch „anders“.
    Habt eine gute Weiterreise,
    Pit


    1. Ooops, zu früh auf „abschicken“ geklickt. Wollte noch per virtueller Tastatur deutsche Zeichen einfügen, also z.B. aus „ue“ einü“ machen, und aus „sz“ ein „ß“.


  4. … Umherirren
    auf der Suche nach
    dem Standpunkt
    innehalten

    Urlaub
    Urlaub von was
    Von mir
    Urlaub ist auch anders
    innehalten
    anders
    Stillstand
    innehalten
    weitergehen

    und wenn
    mein Standpunkt
    ist
    in Bewegung zu bleiben…

    Danke für die Anregung, den Impuls, den innehaltenAugenblick und weiterhin eine gute Reise…

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