Warum tust du das? [SoSo] | #flussnoten

Warum tut ihr euch das an – mit so einem schweren Rucksack durch die Berge oder durch die Landschaft zu kriechen?

Und warum dann nicht wenigstens mit dem Rad?

So kann man sich doch nicht erholen!

Ist das nicht total zu anstrengend – nicht nur das Wandern, auch die Lagerplatzsuche? Jeden Abend von neuem. Ich stelle mir das ziemlich stressig vor!

Also für mich wäre das ja gar nichts!

So oder ähnlich hören wir Menschen zuweilen sagen, wenn wir von unserm Flussnoten-Wanderprojekt erzählen und erzählten.

Meine folgenden Gedanken sind zwar keine eigentlich Antworten, auch keine Rechtfertigungen, sie sind eher Impulse, die vielleicht zu einer anderen Haltung inspirieren können …

  • Die Nähe zur Natur – Natur sein

Ich bin Teil der Natur. Sie ist größer als ich. Ich kann nicht ohne sie, während sie ziemlich gut ohne mich klarkommt. Besser vielleicht sogar als mit mir.

Darum ist die Natur, das Sein in ihr, das Leben in ihr, für mich das wichtigste Teilchen im Entscheidungsprozess „Warum wandern?“ Ich erhole mich am besten in der Natur. Und am allerbesten, wenn ich mich draußen bewege. Radfahren ist zwar auch gut und ja, ich radle gerne, doch Wandern hat noch eine andere Qualität, die mir beim Radfahren fehlt, nämlich das Moment der …

  • Entschleunigung & Langsamkeit

Im Alltag sind wir, seien wir mal ehrlich, doch viel zu schnell unterwegs, innerlich wie äußerlich. Hüpfen von Thema zu Thema, von Mensch zu Mensch, von Arbeit zu Arbeit, von Text zu Text. Wir arbeiten an etwas, sind mit den Gedanken aber bereits dadrüben und mit den Händen und Füßen, dem Herz und der Leber machen wir wieder anderes … wir sind nicht mehr eins mit uns selbst, nicht synchron. Manchen scheint das nichts auszumachen. Mich aber stresst es. Ich vermisse mich. Ich vermisse die Einheit mit mir und dem großen Ganzen. Darum brauche ich Zeiten wie diese. Flussnoten. Gehend werde ich mir meines natürlichen Rhytmus‘ bewusst; das Gehtempo findet sich von allein, es findet mich, ich finde es, wir finden uns und sind auf einmal ganz. Mein Tempo ist dann das richtige, wenn ich vorankomme ohne zu japsen und ohne zu kriechen … Auch das Pause-Tempo findet sich so ähnlich. Ich merke, wenn ich eine Pause brauche und wenn ich wieder weitergehen mag. Im Alltag ist die Pause genau dasjenige, das ich oft übergehe, ignoriere … weil es doch soo viel zu tun gibt. Weil ich doch dies noch und jenes … Weil ich doch soo wichtig bin … Beim Gehen, beim langsamen Wandern mit dem Rucksack am Rücken ist eigentlich nur der Weg wichtig. Und mein Atem. Ich finde ja, langsam zu werden, diesen Mut zur Langsamkeit zu haben, je älter ich werde, desto weniger eine Untugend denn eine Tugend.

Wandern mit Sack und Pack ist somit eben auch ein …

  • Gegenentwurf zum klassischen Ferien- und Freizeitkonsum

Ich verlasse wandernd das Konsumhamsterrad, da ich alles dabei habe, was ich wirklich brauche – eigentlich könnte ich sogar auf vielmehr verzichten, doch ich habe mich entschieden. Und drum ist dabei, was dabei ist. Und so trage ich alles mit mir. Omni mecum porto. Alles, was ich kaufe, weil ich glaube, es zu brauchen, muss ich selbst tragen. Es erhöht das Gewicht meines Rucksackes.

Natürlich konsumieren wir auch – ganz auf Survival haben wir ja nicht umgestellt. Wir kaufen ein, was wir unterwegs brauchen, Taschentücher und Kondensmilch, aber auch Gemüse, Früchte, Nüsse. Schokolade. Kekse, ja auch Kekse. Alles, was wir kaufen, tragen wir. Und ja, klar: es ist unbequem, viel, oder zumindest zu viel zu kaufen. Anders gesagt: Wie schwer wiegt Reichtum?!

Obwohl doch die Menschen nichts unversucht lassen, um zu manipulieren und zu erfinden, wie sie sich das Leben noch leichter machen könnten. So ähnlich kommentierte neulich Ulli in meinem Sofasophienblog. Und ich frage mich, warum wir eigentlich so sehr nach einem noch bequemeren Leben, nach Schlaraffenland und Knopfdruckbequemlichkeit und nach „Immer-schönes-Ferienwetter“ streben ? Gesund ist diese Art des Überflusses ja nicht, eher wie eine Rheinüberschwemmung vielleicht. Von artgerecht mag ich gar nicht reden. Wir haben uns sehr von unserer Natur entfernt. Vielleicht darum brauche ich immer wieder solche not-wendigen Gegenentwürfe zur gesellschaftlichen und auch selbst verinnerlichten Konsumhaltung.

Flussnoten war bis zum Bodensee ein buntes Unterwegssein durch wunderbare Berglandschaften, auf schmalen, mit Sturzrisiken verbundenen Bergwegen. Risiken, die man nie ganz ausblenden kann; und wir waren unterwegs durch Industriegebiete, auf Teerstraßen, auf Kieswegen, durch Kuhweiden, durch Wohnquartiere, vorbei an Wasserwerken, Stauseen, bergauf, bergab … wer braucht da Animation? Ist die Natur, ist die Umgebung nicht spannend genug?

Und alles erst noch kostenlos.

  • Grenzerfahrungen mit den etwas anderen Thrills (Lagerplatzsuche)

Und ja, natürlich kamen wir und kommen wir an Grenzen. Durst und kein Brunnen in Sicht. Bergan und kein Gipfel in Sicht. Abwärts und kein Ende in Sicht. Blasen und keine Heilung in Sicht. Das Fehlen der Sicht, der kurzfristigen Perspektive – sie ist meine Immer-wieder-Grenzüberschreitung, ist mein Leid, mein Thrill vielleicht sogar. Wie werde ich dieses Abenteuer zu einem guten Ende bringen? Konkret: Wo werden wir heute unser Zelt aufbauen? Finden wir einen öffentlich zugänglichen Platz (Jedermannsrecht) oder einen Bauern, der uns das Zelten erlaubt?

Und ich lerne: Auch wenn ich JETZT den Gipfel nicht sehe, ihn nicht herbeizerren kann, das Ende nicht beschleunigen kann: Da ist etwas. Der Gipfel IST erreichbar, das Ende WIRD einem neuen Anfang Platz schaffen. Es geht, wenn ich gehe. Wenn ich mich traue und einen Fuß vor den anderen setze. Grenzerfahrungen stärken das Vertrauen in …

  • Die eigene Kraft

Die eigene Kraft kennenlernen konnte ich fast jeden Tag von neuem. Und dabei feststellen, wie ich jeden Tag ein bisschen fitter werde. Wie ich Muskelkater und Blasen allmählich überwinden kann. Fast nebenbei. Den Fokus vom Leid und Schmerz auf die Wirklichkeit, auf den Fluss, auf das Voran, auf die Erde lenkend, eine Ablenkung, die zur Zulenkung wird, zur Hinlenkung, zur Mutfindung und zur eigenen Kraft: Wie ich jeden Tag, besonders dann, wenn ich glaube, keinen einzigen Schritt mehr gehen zu können, doch noch ein paar Schritte vorwärts schaffe. Nicht immer aus ganz und gar eigener Kraft, manchmal auch durch gutes Zureden Irgendlinks motiviert. Oder weil die Pause erholsam war. Oder weil da auf einmal ein Brunnen steht.

  • Das eigene Tempo

Wie ich es liebe, allmählich – jeden Tag ein bisschen mehr – mein eigenes Tempo zu finden! Eigentlich müsste ich ja auch sagen, dass wirunser eigenes, unser gemeinsames Tempo finden. Unser Wir-Tempo. Eine Art Schnittfläche ist es vermutlich, ein Tempo, bei welchem es uns beiden wohl ist. Manchmal gehen wir gleich schnell nebeneinander her, manchmal gehen wir hintereinander. Dabei gehe ich lieber hinten, weil ich gerne auch mal stehen bleibe. Oder langsamer gehen will. Noch langsamer. Mir zuliebe.

8 thoughts on “Warum tust du das? [SoSo] | #flussnoten


  1. Lass es mit dem Erklären. Man soll hoffen, dass nicht alle das irgendwann erkennen, denn dann wäre es mit der Ruhe vorbei.

    Sagte mein Schwiegervater, als wir mal wieder mit Familie wandern waren.
    Lange dachte ich darüber nach und denke „Er hat Recht“.


    1. Andererseits: Es werden es eh nur die tun, die es eben wirklich wollen. Und das werden immer Wenige sein. Und falls es mehr werden sollten, dürfen wir uns freuen: Weil … dann hätte ja ein Umdenken stattgefunden.
      Die Haltung, solche Erfahrungen und Erkenntnisse nicht teilen zu wollen, fände ich persönlich sehr egoistisch. Aber es geht mir auch nicht um Erklären, es geht um Sichtbarmachen, dass es anders geht. Anders leben. Wenn man im Kleinen anfängt. Die Welt anders angucken lernt, einen anderen Bezug zur Natur findet. Sich als Teil des Ganzen erkennt … Viele kleine Schritte.


  2. Danke, liebe SoSo, fuer das Mitteilen Deiner ganz persoenlichen Sicht der Dinge, das Miterleben-Lassen Deiner Erfahrungen!
    Hab’s fein,
    Pit


  3. Wunderbar auf den Punkt gebracht!
    Ich sinniere gerade wie oft auch ich Sätze höre: DAS hast du dich getraut? Das würde ich nie machen. Wieso machst du sowas? Genau … Grenzerfahrungen, Grenzen überschreiten, um dann eigene zu finden und sich in ihnen zu bewegen, bis wieder mal eine Brücke kommt oder ein Sprung (durchaus auch symbolisch zu sehen, wie eigentlich alles symbolisch wird, wenn man sich auf den Weg macht, wie auch immer noch) Der Weg wird deutlicher auf dem Weg…
    Noch kurz zur Bequemlichkeit: ich habe keine wirkliche Antwort, nur die, dass ich sie als eine der Herausforderungen im Leben ansehe.
    Herzlichst
    Ulli


    1. Ist es wirklich Mut? Und wenn, dann jener der Verzweiflung, weil es im wohltemperierten Alltagskorsett zu eng geworden ist und wir nicht anders können als … Ich glaube eigentlich weniger, dass ich es tue, um die Grenzen zu erfahren, eher um etwas anderes zu erfahren, den Blick wieder 360 Grad bewegen zu können, den Tunnelalltagsblick verlassen zu können … „Der Weg wird deutlicher auf dem Weg“ – so schreibst du. So wahr. Weil sich der Fokus verändert.
      Und eben auch das Ding mit der Wohlfühlzone. Aber eigentlich, wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich dort draußen mindestens genauso wohl – aber anders! – als auf meinem Sofa. Du verstehst mich bestimmt. <3


  4. Wie wichtig das Gehen ist (und wie schlecht ich mich mit dem „guten Leben“ behandelt habe), weiß ich, seit ich es nicht mehr kann. Wenn ich es hoffentlich wieder können werde, muss ich es neu lernen. Danke fürs Denkenanschubsen.


    1. Ja, liebe Vera, da ist was dran. Ich habe mich oft dankbar beim Gehen gefühlt, weil meine Beine, meine Arme, mein Rücken und auch mein Herz das alles mitmachen. Es war ja auch schon anders. Ich hoffe, dass es bei dir auch wieder anders wird. Gern geschubst.

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