Der hoffnungslos scheiternde Fall Menschheit by Irli | #flussnoten

Der Fluss macht mir langsam Angst. In seiner hypnotisch dahintreibenden Art nimmt er immer mehr Einfluss aufs Gemüt. Beinahe bin ich versucht, mich und meinen Lebensweg selbst für einen Fluss zu halten und die leblose, unbeseelte Wassermasse, die mich seit den Alpen immer weiter ins Tal geleitet rein gedanklich in ein empfindsames Lebewesen zu verwandeln.Kann man von Flussreisen wahnsinnig werden? Kann einen die deprimierende Erkenntnis des hoffnungslos scheiternden Falls Menschheit in unumkehrbare Depression versetzen? Muss ich aufgeben, wegschauen, mich durch ein Wurmloch zurückziehen, um in einer selbst erdachten Blümchenwelt neu in Erscheinung zu treten?

Die Donauversickerung kommt mir in den Sinn. Irgendwo in der Schwäbischen Alb verschwindet der Fluss in den Sommermonaten vollständig. Nur noch ein paar Pfützen und ein leeres Bett weisen darauf hin, dass dort ein Fluss ist. In Höhlengängen des porösen Karstgebiets bahnt sich das Wasser seinen Weg und tritt Kilometer weiter wieder zu Tage. Aber nicht alles Wasser. Unterirdisch teilt sich die Masse und ein nicht unerheblicher Teil tritt in einer mächtigen Quelle am Hochrhein zu Tage und speist den Rhein. Wasser, das aus menschlicher Sicht für das Schwarze Meer bestimmt war, gelangt so in die Nordsee.

Schizophrenie unter Flüssen.

Der Rheinradweg verläuft ab Kehl meist auf dem Hochwasserdamm. Flussabwärts hat man links den breiten Strom, rechts Kanäle und eine Straße und Wald und Kieswerke und Dörfer und Gewerbegebiete. Das ist recht eintönig, so dass man die Reise zu einem guten Teil in sein Inneres verlegt. Ich zumindest.

Nicht gut. Über die Erinnerung an die gemeinsamen Fahrradreisen mit meinem Vater, die oft durch diese Gegend führten, gerate ich im Abgleich mit der Gegenwart in eine depressive Stimmung. Ich sehe die Strecke damals und jetzt und all die Veränderungen und es gefällt mir gar nicht, was ich da sehe. Radelten wir nicht relativ ruhig über die B 500 hinauf in den Schwarzwald? Als ich ein kurzes Stück auf der Straße radele und von zig LKWs überholt werde, kann ich das kaum glauben. Entweder ist mir der starke Verkehr damals nicht aufgefallen, oder er hat massiv zugenommen. Die Kieswerke, Zementfabriken, Gewerbegebiete, gabs die damals auch schon? In Freistett nervt ein Hubschrauber. Halbstundenlang kreist er über dem Dorf und bringt die Leute in Aufruhr. Alle starren nach oben. Ein Rettungshubschrauber wie letzte Woche ist das nicht, sagt eine Frau. Kinder halten sich die Ohren zu. Ein Hund zieht den Schwanz ein. Vielleicht suchen die jemand? Fragt eine andere Frau. Der Hubschrauber sieht nicht nach Polizei aus. Eher eine kleine, fiese Privatmaschine eines Fotografenarschlochs, das hinterher im Dorf die Klinken putzt und den Leuten schäbige Luftaufnahmen ihrer Häuschen verkauft.

Der Fluss ist eine Grenze denke ich später durch Maisfelder radelnd. Und zwar nicht in dem Sinn, dass hüben Deutschland ist und drüben Frankreich, sondern eher eine metaphorische Grenze, die keine Rücksicht auf Zeit und Raum nimmt. Alles mischt sich im Laufe der Strecke und der Lebensjahre zu einem unkenntlichen Sud. Ich stelle mir vor, die Bilder, die ich seit der Quelle gemacht habe, gegenläufig nebeneinander zu stellen. Ein Zementwerk stünde direkt neben einem Landschaftsbild aus der Rheinschlucht. Alpendorf trifft Industriestadt. Blümchenbild steht neben Müllhaufen.

Wo ist die Nahtstelle? Zur Mitte des Flusses, also genau in der Mitte zwischen Quelle und Mündung? Vielleicht bei der riesigen Schiffsschleuse in Iffezheim? Schaulustige stehen am Beckenrand und starren in das vielleicht zehn Meter tiefe Bassin. Ein Frachter wartet vorm Tor. Wasser wird gepumpt. Im Wind zittert ein Alurohr und der Wirbel erzeugt ein Geräusch, das wie chorale mystische Gesänge klingt. Kann nur ich das hören? Es ist unheimlich. In meinem Innern errichte ich düstres klösterliches Leben und suchende Mönche in Kutten und Kerzenschein und kalte feuchte Luft. Es ist heiß. Die Sonne brennt. In einer Gaststätte kaufe ich ein Eis. Das Letzte, sagt die Wirtin. Auf dem stinkenden Kaschemmenklo kann ich die Wasserflaschen füllen. Jemand strahlt laut ins Pissoir.

Der Ekel vor der Welt und meinen Mitmenschenmassen wird untermalt von einer eigenartigen Begegnung. Seitlich des Rheins treibt ein begradigtes Rinnsal an der Schleuse vorbei. Unterhalb mündet es in den Rhein. Wasserpflanzen schlingern. Wie die Zweige der Weiden im Luftozean. Eine breite Treppe führt in den Bach. Ein Mann und eine Frau stehen mit dem Wohnmobil davor. Liegestuhlhocken, Bikini und Badehose, Sonnenbrand. Öl. Ich schlüpfe in die Badehose und steige die Treppe runter, tauche ein ins frische Bachwasser. Wir kommen ins Gespräch über den Rhein, dass viele Medikamente drin seien, sage ich, dass das Quatsch ist, sagt er. Sie schweigt. Valium, sage ich. Dann müssten die Fische doch schlafen. Hier sind keine Fische. Das Wasser ist klar. Alles voller Hormone von den Weibern, sagt er und weist mit dem Kinn zu ihr. Wieder so ein Bulle von Mann. Wuchtiger Oberkörper. Ohne Bauch ginge er als Bodybuilder durch. Bürstenhaar, an den abschüssigen Stellen kahlrasiert. Sie schweigt. Er ruft den Hund mit dem zotteligen langen Fell und beide steigen ins Wasser. Dann schüttet er eine Flasche Shampoo ins Fell und wäscht das widerwillige Tier. Ich bin baff. Total perplex um diese Selbstverständlichkeit, überlege, etwas zu sagen, überlege, was wohl passiert, wenn alle zig Millionen Hundebesitzer Deutschlands und die zig Millionen Franzosen und die Schweizer, Österreicher, Liechtensteiner gleichzeitig ihren Hund mit einer Flasche Shampoo im Rhein waschen würden. Das ist kein Rheinwasser, das ist gutes, sauberes Wasser aus dem Schwarzwald, sagt er wie zum Hohn. Mein innerer Feldherr will einen Krieg anzetteln. Verbal. Argumentativ. Schimpfend. Würde das was nützen? Hilft Krieg gegen dieses fleischgewordene Bündel aus Selbstgefälligkeit und Dummheit? Er wird es wieder tun und wieder und wieder. Er wird den armen Hund immer in diesem Bach waschen, egal was ich sage. Ich kann ihn nicht ändern, ohne ihn zu vernichten. Ich könnte ihn anzeigen. Wo ist dein Beweis?

Mit einem elenden Gefühl radele ich weiter. Der Wind treibt mich zur Beinheimer Brücke.

Die Gegend um Lauterbourg und Iffezheim ist mir von früher noch gut in Erinnerung. Meist überquerten wir den Rhein auf der ehemaligen Eisenbahnbrücke bei Beinheim. Die Straße über die Staustufe bei Iffezheim mündet direkt in die B 500. In meiner Erinnerung ist die alte Eisenbahnbrücke sehr schmal und nur einspurig befahrbar. Die alten Schienen liegen noch. Man musste aufpassen mit dem Fahrrad. Nun sehe ich zig Autos hin und her fahren. Hab ich mich getäuscht? Die Einflugschneise des Baden Airport. Ferienfliegerlandeanflüge. Das Gewerbegebiet bei Au, gabs das schon?

Drüben in Beinheim war eine Pelztierzucht. Elender Gestank zum Häuten verurteilter Wesen. Ich glaube irgendwann hatten einmal Aktivisten die Tore geöffnet. Als ich drüben bin, kann ich die Käfige nicht sehen, aber ein widerlicher Geruch liegt in der Luft, der sich aber als Zementwerksgeruch entpuppt. Kann das sein, dass im Prozess der Zementproduktion Gerüche entstehen, die wie Pelztierzucht riechen?

Der Abgleich mit der Erinnerung macht mich depressiv weltschmerzig verzweifelt desillusioniert selbstaufgebend. Plötzlicher Lebenslustverlust. Erst das urwüchsige Sauerdelta, das so unzugänglich ist, dass kein Mensch es betreten kann, baut mich wieder auf. Wie die Sauer, so fließt auch ein paar Kilometer nördlich die Lauter in den Rhein. Das ist der Grenzfluss zu Frankreich. Ihm will ich folgen hinauf in die Pfalz.

Ich werde die Flussnoten nun unterbrechen. Ein paar Termine zerstückeln den August. Und ich bin auch reisemüde. Denkensmüde. Ein Funke, eine Idee kommt auf, dass ich es ab nun endlich angehe mit meinen fiktiven Geschichten, die ich in der Roadmap auf irgendlink.de skizziert habe. Ich bin so müde von der Realität, so erschöpft von dem Elend da draußen, so enttäuscht von der teilweise affenähnlichen Primitivität eines nicht unerheblichen Teils meiner Mitmenschen.

Wer weiß, vielleicht kann ich den Weg die Lauter hinauf nutzen als eine Art Wurmloch, um mich in eine andere Welt zu versetzen. Rein gedanklich nur.

Und eines Tages kehre ich zurück und schreibe weiter an den Flussnoten.

3 thoughts on “Der hoffnungslos scheiternde Fall Menschheit by Irli | #flussnoten


  1. Und da dachte ich, dass ich alleine diejenige bin, die schimpft, die leidet, die manchmal so müde ist! Gestern schrieb ich einen Text vom Gedankenauffangbuch für den Blog ab (erscheint am Montag), darin habe ich viel geschimpft, weil gelitten, das hat mir nicht gefallen! Danke, dass du auch diese Gedanken und Gefühle teilst.

    Heute ist anders, heute habe ich in den frühen Morgenstunden Kräuter in meinem Restwildwuchsgarten geerntet, gebündelt, zum Trocknen aufgehängt, ich habe gesungen!
    „Always looking on the bright side of life- tudupp, tudupp …“
    in diesem Sinne, nur das Beste heute für dich und Soso
    Ulli


  2. So wahr, das alles.
    Danke für diesen Text.
    (Und dann denke ich daran, wie wir uns in meiner Kindheit bei Zelturlauben in Mecklenburg wie selbstverständlich mit Shampoo in den Seen gewaschen haben. An nichts Arges denkend. – Man kann dazulernen, sage ich leise hoffend …)


  3. Sehr gut formuliert: „Wasser, das aus menschlicher Sicht für das Schwarze Meer bestimmt war, gelangt so in die Nordsee.“. Ich wusste gar nicht, dass ein Teil des Donauwassers in den Rhein fliesst. Diesmal wird etwas über die Geographie von Deutschland erklärt. 😉

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