Tag 3: Der Segen von Traktorunterständen | #flussnoten22

Kaum haben wir, bei 14 Grad leicht fröstelnd, unsern Nachtlagerplatz verlassen – ich noch im Langarmshirt, ohne Sonnenbrille und ohne Sonnenhut –, geht es ein kurzes, aber steiles Stück bergan. Und kaum haben wir das Waldstück hinter uns gelassen, sind wir an der Sonne, die uns schnell aufheizt.

»Jetzt hab ich doch extra auf Vorrat gefröstelt, damit es mir heute nicht zu warm wird!«, jammere ich auf hohem Niveau (1300 m ü. M.).

Wir wählen heute Morgen wieder einen Bergweg (‚Waldweg’ genannt), der etwas oberhalb der Rhône verläuft und begegnen beim Abstieg einem Wanderer, der keine Ahnung hat, wie er auf oder über den Berg kommen soll. Da er kein Deutsch kann und auch sonst überhaupt wenig Ortskenntnis zu besitzen scheint und zudem keine Karte hat, versuchen wir ihm mit Händen und Füßen zu erklären, wie er rauf auf den Berg kommt. (Ich dichte ihm, als wir weiterwandern, eine Geschichte an, in welcher er Kriegsflüchtling ist, gerade knapp mit dem Leben davon gekommen, dabei den linken Arm verloren, ein Gelübde getan hat, nämlich einen Berg zu erklettern. Möge es ihm gelungen sein.)

Später überzieht sich der Himmel mehr und mehr mit dunklen Wolken und wir rechnen jederzeit damit, nass zu werden. Außerdem sind wir hungrig und so halten wir nach einem geeigneten Picknickplatz Ausschau. Als wir endlich einen finden und die ersten hungerstillenden Bissen gegessen sind, fängt es zu regnen an und wir flüchten in den nahen Traktorunterstand.

Dort ist es zwar trocken, gemütlich jedoch geht anders. Wir sitzen einen Starkregenfall und ein erstes Gewitter aus. Eine halbe oder eine Dreiviertelstunde später ist der Spuk vorbei. Es ist kühl und feucht geworden, sodass Regenjacke und Rucksackschutz angezogen bleiben.

Es tröpfelt immermal ein wenig, doch die Wolken vor uns, Richtung Mühlebach, werden heller und heller und der Himmel hat wieder ein paar blaue Flächen. Das vorletzte Stück – kurz vor Steinhaus bis nach Mühlebach – ist wanderwegtechnisch sehr unattraktiv, da es sich um eine geteerte, zum Glück wenig befahrene Landstraße handelt. Regennasse kühle Teerstraße haben sonnenerhitzten Teerstraßen gegenüber den großen Vorteil, dass sie kühl sind und besser riechen, dennoch sind sie nicht wirklich für Menschenfüße gemacht. Meine jedenfalls mögen lieber Wald- & Wiesenwege und werden auf Teer nicht nur schneller müde, sondern brennen schnell unangenehm. Als wir nach einigen Kilometern in Mühlebach an einer Postautostation Sitzbänke finden, lasse ich mich erleichtert fallen und stehe so schnell nicht wieder auf.

Irgendlink geht, während ich regeneriere, auf Erkundungstour und erfährt, dass es zum nächsten offiziellen Zeltplatz noch ein paar Kilometer sind und die Zimmerangebote unser Budget bei weitem übersteigen. Wir können entweder – Option 1 – mit dem Postauto eine Station, nach Ernen, fahren, um näher an den Campingplatz zu kommen oder aber – Option 2 – den Panoramaweg oberhalb Mühlebach nach Ernen nehmen und dort auf ein schönes Plätzchen zum Zelten hoffen.

Da ich mich wieder erholt habe, wählen wir die 2. Möglichkeit. Die Wasserflaschen füllen wir am Mühlebacher Dorfbrunnen. Das Dorf sei wohl, hat Irgendlink aufgeschnappt, das schönste der Schweiz. Könnte stimmen. Sieht alles sehr hübsch aus. Viele alte, gut erhaltene Wohnhäuser will es scheinen.

Wir steigen aufwärts und finden einen richtig schönen Rastplatz, wo es uns gefällt. Und wo wir bleiben wollen. Die Wolken sind hellgrau. Ob es nochmals regnen oder gar gewittern wird? Die Wahrscheinlichkeit ist bei 50:50 und ich tippe auf Nein.

Heute sind wir früher dran als die Tage zuvor mit der Nachtlagerfindung, also bekommt unsere wunderbare Homebase Ulrike schon gleich mal den Track und ein paar Bilder zugemailt, bevor wir uns ans Kochen machen. Die Spaziergänger•innen, die vorbei kommen, wirken alle wohlgesinnt, niemand da, der uns wie gestern Polizeikontrollen androht und als wir später das aufgebaute Zelt einrichten (diesmal noch bei Tageslicht), kommt ein deutsche Paar vorbei, das ebenfalls oft wildzeltend unterwegs ist und sich nach den hiesigen Bräuchen erkundigt. Sie sind, wie wir, Pyrenäenfreund•innen und so bekommen wir ein paar Fernwandertipps für ein anderes Mal. Wer weiß, wer weiß.

Abendessen: Gemüserisotto und Salat

Am nahen Bach hat Irgendlink den Wassersack gefüllt, so dass eine wohltuende Katzenwäsche gelingt. Es ist kühl, so dass wir uns nach dem leckeren Gemüserisotto beizeiten ins Zelt verkriechen und das Zelt mit unserer Anwesenheit heizen. Kaum bin ich ins Zelt geschlüpft, beginnt es zu regnen. Und zu gewittern. (Wette gegen mich verloren.) Der Regen lässt bald nach, das Gewitter dauert, verzieht sich aber bald weiter weg. Es wäre nicht der schlechteste Tod, so im Zelt zusammenliegend, vom Blitz getroffen zu werden, unken wir.

Kühl wird es. 8 Grad sagt Irgendlink heute Morgen. Ich habe Verspannungskopfweh und kann ewig nicht einschlafen, zu müde, um nach einer Kopftablette zu suchen. In Gedanken bin ich bei Freundin L., deren Mutter ich auch kenne, heute Nacht im Sterben liegt und – wie ich soeben (am Morgen) erfahre – den Gang über die Regenbogenbrücke geschafft hat. L. ist erleichtert, dass das Leiden ihrer Mutter nun vorbei ist. Ich auch. Erleichterungs- und Mittrauertränen fließen.

Eben ist ein Gemeindefahrzeug vorbeigefahren, vorgeblich zum Leeren der Mülleimer, vermutlich eher, um zu kontrollieren, ob wir alles in Ordnung halten. Sie grüßen freundlich zurück. Vermutlich bin ich zu misstrauisch.

Und jetzt kommt wieder ein Auto. Es ist die Bäuerin mit zwei Kleinkindern, eins noch ein Säugling, die zum Wassersprenger hochsteigt, um diesen woanders zu platzieren. Damit den Kühen nicht das Gras unterm Mund verdorrt. Wir reden ein wenig und sie bestätigt, dass wir hier keineswegs stören.

Der Tag lässt sich gut an, Muskelkater und Erschöpfung werden von Umgewöhnung abgelöst und die Stimmung ist heiter und dankbar, trotz der Traurigkeit über den Tod von Le.

Zwei Bänke an der Sonne, gegenüber die besonnten Berge

Wir sitzen inzwischen auf den Bänken an der Sonne, derweil die Solarpanels unsere Powerbänke aufladen, den ersten Teil dieses Textes schrieb ich noch fröstelnd im Zelt. Langsam kann ich wohl die Leggings unter der Wanderhose ausziehen, ich Frostbeule ich.

Bald gibt es ein kleines Frühstück, das zweite, größere dann nach dem Einkauf im nächsten Dorf.

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