Von Heurechen, spitzen Stöcken, wenig Wasser und keinen Automaten – by ^irli #flussnoten

Der Mann konzentriert sich auf das gut zwölf Zentimeter lange Stöckchen. Mit Daumen und Zeigefinger rollt er das nahezu perfekt gerade Rund und betrachtet dessen Spitze. Könnte noch etwas mehr, könnte noch etwas spitzer, also rückt er dem Ebereschenästchen mit einem roten, dicken Schweizer Messer zu Leibe, wetzt ein wenig hier, wetzt ein wenig da, ein Windstoß zaust sein Haar. Der Mann sieht aus wie ein verjüngerter Professor van Helsing in Tanz der Vampire. Einzig fehlen der Szene ein Pferde gezogener Schlitten, Pelze über den Knien, Mützen, warme Kleider, ein Liebespaar hinten auf der Sitzbank, ein ahnungsloser Professor, kurzum fehlt alles, was enen Vampirfilmklassiker ausmacht. Wie auch, es gibt den Schlitten nicht, das Pferd, den Schnee und es gibt auch keine Vampire.
Abends setzte Wind ein. Vom Berg herab, wie es für die Rhone typisch ist, nimmt er jeden Laut mit, jeden Geruch, und die vielen Warmuftblasen verwirbeln über der Szene. Wir sind auf etwa 900 Höhenmetern angekommen, änderten gestern unseren ursprünglichen Routenplan die Katarakte der Rhone rings um Grengiols und die Talstation Bettenüber den Martisberg zu umgehen. Zu steil schien der Weg da hinauf, zu heiß war es, zu verlockend schien uns als Alternative ein den Höhenlinien folgender Pfad nahe der Furkastraße, der uns bis fast nach Grengiols bringen würde. So folgten wir einem ehemaligen Bewässerungskanal, einer Bisse, bzw. Suone, las ich bei Wikipedia. Das sind schmale Pfade am steilen Hang, die durch Felsen und Bäume vorm Abbrechen bewahrt werden und neben denen zu Hangseite eine Rinne schlängelt, in der das Wasser ab einem der vielen Rinnsale, die vom Berg stürzen, geleitet wird bis zu den Feldern.
Beim Weiler Deisch rasten wir auf einer Bank im Schatten. Hinter uns eine Frau, die das furtztrockene Heu zu Wulsten recht. Per Hand unendlich langsam. Vor uns mit Blick zur serpentinösen Furkastraße und zur Bahnlinie beackern eine Handvoll Männer sowohl mit Maschinen als auf per Hand ein großes Heufeld. Einer fährt den Heurechen, einer das Sammelfahrzeug, und drei weitere holen mit den Rechen die Heureste, die der Maschinenrechen nicht schafft zu kleinen Haufen. Es erstaunt mich immer wieder, wie die Motorgeräte in solcher Schräglage A überhaupt fahren können und wie B deren Motoren die Schräglage überstehen. Vom frühen Interesse an Technik weiß ich etwas vom Ölsumpf und von Ölwannen und dass normale Viertaktmotoren ab einer bestimmten Schräglage Probleme mit der Schmierung kriegen.
Wie auch immer, es funktioniert.
Nachdem die Frau ihren gut hundert Meter langen Wulst zusammen gerecht hat, schaut sie bei uns vorbei, wünscht Grüß Gott und wir erwidern und loben sie, da haben sie sich ihren Feierbend aber verdient und sie antwortet, ach verdient, das muss halt. So stapft sie mit Rechen den Weg hinab Richtung Grengiols. Wo auch wir ihr folgen. Mit eitel Bisse-Wandern flach entlang der Höhenlinie ist abrupt Schluss. Ultrasteil windet sich der Pfad vorbei an der Straßenserpentine, vorbei am Tunneleingang zu einerm 270 Grad Rundtunnel, den die Eisenbahn zur Höhenüberwindung ab Grengiols nehmen muss. Grotesk sieht das aus, wenn man über der Strecke steht und die beiden Bahnstecken sieht, eine quer zm Bild und etwas tiefer eine direkt auf einen zu, die offensichtlich im Tunnel verschwindet. Ich labe mich an dem Gedanken eines unendlich langen Zugs, dessen eines Ende auf der Querstrecke zu sehen ist und dessen anderes Ende am Tunnelausgang.
Wir müssen höllisch aufpassen beim staubigen steilen Pfad. Keine Ahnung wie unsere recht betagte Heurecherin den Weg so behende geschafft hat. Sie ist jedenfalls verschwunden.
Der untere Teil des Abstiegs führt über die alte Passtraße, die mit Schranken für den Verkehr verrammelt ist. Drei schwitzende Radlerinnen keuchen entgegen, mit Anhänger, in dem zwei japsende Hundchen sitzen. Sie wohnen in Fliesch, sagen sie und es sei unendlich heiß und der UV-Index sei barbarisch, schauen gegen wolkenlosen Himmel und wir tun es ihnen gleich. Hilft nix, wir alle müssen da durch.
Im Angesicht der Strecke ab Grengiols auf Teerwegen ohne Schatten, regt Frau Soso an, den Zug zu nehmen für eine Station bis zur Bettmer Talstation. Gesagt getan. 17:10 sitzen wir im Zug nach Visp, nein, wir stehen mit aufen Rucksäcken, denn die Fahrt dauert kaum drei Minuten. Tickets haben wir keine. Am Bahnhof Grengiols gibt es keinen Automaten und es wird auch keiner installiert werden, erzählen uns zwei Jungs. Wie auch an allen anderen kleineren Bahnhöfen der Strecke. Tickets gibts nur per App oder womöglich beim Konduktör.
Bettmer Talstation. Ein völlig verbautes Etwas. Gigantische Parkplätze. Beton und Stahlseile, zwei Seilbahnen zügeln von hier aufwärts. Eine wohl zur gut sichtbaren Bettmeralp, die andere verschwindet irgendwo oben am Berg. Vielleicht führt sie hinüber zum Aletschgletscher? Die Kabinen sind so groß, dass man einen SUV darin transportieren könnte.
Über einen ultrasteilen Pfad keuchen wir zweihundert Meter höher zu einem Ort namens Vogelturm, wo es auch einen Brunnen gibt, zum Glück, denn das Wasser ist fast alle und es ist hier unten im Tal recht trocken. Die Rhonezubringer-Rinnsale sind vertrocknete leere Rinnen. Überhaupt ist hier vieles verdorrt. Die Landwirte bewässern ihre Wiesen, damit die Kühe später darauf weiden können. So es denn noch Wasser gibt zum Bewässern.
Jenseits von Vogelturm finden wir zum Glück einen Lagerplatz in einer Ausbuchtung am Wanderweg. Gerade groß genug, um den Weg nicht ganz zu verbauen. Die Zeltleinen, die bis mitten in den Weg spannen, markieren wir mit Gegenständen, einer leeren Biertdose etwa.
Der Mann pustet sorgsam über die frische Spitze aus womöglich Ebereschenholz bestehenden Pflocks, begutachtet sein Werk, hält den Holzpflock gen untergehende Sonne, kneift ein Auge zu, zufrieden mit seiner Arbeit bückt er sich, um der dem Wind zugewandten Seite des Zelts eine stramme Spannleine zu verpassen, die am Pflock, aus welchem Holz er auch sein mag, fest verankert ist. Wenn dies ein Vampirfilm wäre, denkt der Mann, wäre ich dann der Vampir oder dessen Jäger?

One thought on “Von Heurechen, spitzen Stöcken, wenig Wasser und keinen Automaten – by ^irli #flussnoten


  1. Gute Entscheidung, das mit der Bahn! Und einmal schwarz fahren sollte ja wohl erlaubt sein – so viel Werbung, wie ihr hier für die Gegend macht mit euren schönen und so lebendigen Berichten! 😉

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