[SoSo] Als der erste Blitz über den Himmel zuckt, fangen die Beine ebenfalls zu zucken an und ich verfalle, trotz klitschnasser Jacke und schwerem Rucksack, in ein leichtes Traben. Bis zum Donner dauert es zwar eine Weile, was uns beruhigt, dennoch ist es irgendwie gruselig, bei Gewitter auf einem vom Regen glatten Gebirgswaldweg zu wandern. Noch eine Stunde vorher haben wir geschwitzt ob der Steigung.
Und noch früher am Tag geseufzt ob des steilen Abstiegs nach dem steilen Aufstieg nach Rueras. Für die rechte Rheinseite haben wir uns entschieden, weil sie mehr durch Wald und weniger an der Straße entlang führt. Je mehr Wald, desto mehr Schutz vor Regen, so unsere Überlegungen.
Wir schreiten zügig voran, solange es nur oder gar nicht nieselt.
Irgendwann zeigt der Wegweiser – weiß-rot-weiß – bergan. Und ein Blick auf die Karten-App bestätigt, dass genau das unser Weg nach Disentis ist. 3,33 Kilometer sind es Luftlinie bis Mompé Medel, das diesseits des Rheins das Tor nach Disentis ist. Ein winziges Bergdorf. Nur über unzählige Serpentinen zu erreichen.
[Ein kleines Serpentinen-Know-How gefällig?
Gerne. Bergwege verlaufen in aller Regel in Serpentinen bergan und bergab. Fünf Kilometer Luftlinie können daher gerne das Doppelte an Wegstrecke sein. Dazu kommen die Anstrengungen von Steigung und Gefälle.
Aber auch auf befestigten und/oder nicht gebirgigen Wegen, die breiter als ein schmaler Bergpfad sind, gehen wir zwei, um die Gelenke zu schonen, meist in Serpentinen. Auf dreißig bis vierzig in Serpentinen gegangene Schritte kommen etwa ein Drittel bis die Hälfte geradeaus gegangene Schritte, abhängig von Gefälle und Steigung. Man rechne …]
Aufwärts, immer aufwärts. Bergan. Schwitzend. Winzige Pausen machend, um die trockene Phase auszunutzen – so kommen wir gut voran. Mal still, mal philosophierend, mal quatschend.
Noch glauben wir daran, trocken in Disentis ankommen, als auf halber Berghöhe Regen einsetzt. Zaghaft zuerst, dann immer stärker. Und er hört erst Stunden später wieder auf. Stufe 1-Regen, in Scheibenwischerstufen gemessen. Nicht wirklich Starkregen, auch wenn er sich so anfühlt. Kalter, nasser Regen. Unter der Jacke schwitze ich von der Steigung.
Nass ist nass, aber die Kälte müsste nicht sein.
Endlich sind wir oben und treten den sanften Abstieg zum Weiler Mompé Medel an. Fast gleichzeitig zuckt der erste Blitz.
Unversehrt aber schlotternd erreichen wir den Dorfplatz, doch vom vorher auf der Wegweisertafel versprochen geglaubten Restaurant keine Spur. Es habe dichtgemacht, erfahren wir später.
Am Dorfplatz ein gedecktes Kiosk-Häuschen, das ebenfalls geschlossen ist. Immerhin ein Dach überm Kopf, WCs und Stühle stehen herum. Der Regen prasselt nun stärker, mir klappern die Zähne.
Wir beschließen, aus der Situation das beste zu machen, packen den Kocher und die Futtertasche aus und trinken Tee und Kaffee zum Picknick. In der Nähe stehen Stall- und Scheunengebäude.
„Da könnten wir vielleicht schlafen?“, überlegen wir. Als ein landwirtschaftliches Gefährt vor dem Stall vis-à-vis des Platzes hält, stürze ich mich in meine nasse Regenjacke und in den Regen, der sich wieder ein wenig beruhigt hat.
Der Bauer bietet uns an, im Stall zu schlafen. Wow! Und da ist sogar eine Dusche mit WC. Während wir uns einrichten und die feuchten Sachen aufhängen, setzt unser Gastgeber die frischgeputzten Scheiben wieder ein. So ist es bald ein wenig weniger kalt. Gestern erst hätten sie den Stall geputzt und das Bad, erzählt der G., der Bauer, weil die acht Kühe nun auf der Alp seien.
Später bringen uns seine Frau und er einen Wasserkocher, einen Schuhwärmer und für mich trockene Socken. Irgendlink fährt mit G. runter ins Dorf, einkaufen, während ich mit seiner Frau A. über die Wanderung, die Berge, das Leben hier oben und die Abwanderung der Jungen in die unteren Regionen spreche. Viele Hotels hätten zugemacht. In einem seien jetzt Asylanten untergebracht. Ich spüre ihr Befremden, ihre verständliche Berührungsangst und erzähle ihr von meiner Zeit als Flüchtlingsbetreuerin. Auch wir seien heute gleichsam wie Flüchtlinge hier bei ihnen aufgekreuzt, sage ich augenzwinkernd. Und wir seien dankbar für das gewährte Asyl. Ich hoffe, ich konnte ein bisschen von ihrer Angst auflösen.
Nun haben wir lecker gekocht und liegen in die Schlafsäcke gemummelt auf den Isomatten. Es ist etwa zehn Grad. So kalt wie draußen, nur ohne Regen und Wind, der garstig um die Ecken pfeift.
Irgendlink hat übrigens das Buch aus der Bücherkiste mitgeschmuggelt, das ich gestern angelesen habe und seines Gewichtes wegen auf dem Zeltplatz hatte liegen lassen wollen. Hey, toll! Mir geht’s so gut, auf die heiße Dusche nachher freu ich mich. Und jetzt über das Bier, das der Liebste mir kredenzt.
Und ich frage mich, nach all den Serpentinen dieses Tages, den gelaufenen ebenso wie jenen im Kopf, wie viele Meter unsere Beine und Gedanken heute wirklich zurückgelegt haben.
Tagesstrecke 5. Tag:
10 Grad und nass … das hört sich nicht sehr lauschig an. Schade, dass die wärmenden Kühe auf der Weide sind. Gute Nacht im „Großzelt“ … das Foto auf Twitter war irgendwie toll.
Also, ohne Kühe im Stall schlief es sich echt ziemlich gut (bestimmt besser als mit!) Danke fürs Mitfiebern!
Hallo SoSo,
Gewitter im (Hoch)gebirge habe ich Gott sei Dank noch nie erlebt, aber auf See schon. Und von daher kann ich sehr gut nachfühlen, wie mulmig es Euch geworden sein muss. Mich hat’s einmal in der Ostsee, bei einem Segeltörn, auf dem Weg von der Insel Samsö zum Festland, erwischt. Rundum Blitze [zum Glück nicht direkt nahe bei, aber nahe genug, um uns Angst zu machen] und Donner, und der eigene Mast ist weit und breit das Höchste – ein wunderbarer Blitzableiter. Besser gesagt, „Herleiter“. Gut, dass Euch nichts passiert ist und dass Ihr eine trockene Unterkunft gefunden habt.
Mehr Wetterglück beim Rest Eurer Wanderung,
Pit
Boah, bei Gewitter segeln klingt nicht lustig!
Danke, lieber Pit, dein Wunsch möge sich erfüllen. Noch regnet’s nicht.
Ja, uns war schon etwas mulmig. Und wir waren froh, als wir im Hafen waren, wo es noch hoehere Masten als den Unseren gab.
Ich halte weiterhin die Daumen,
Pit
Danke, es wirkt (siehe Kommentar an Ulli).
Freut mich!
Boa, welch Opulenz. Und jetzt hab ich perversfrüh Lust auf ein Steak. 🙂
Auf See würde ich vor Angst untergehen bei Gewitter.
Hallo Juergen,
ich hatte her Angst, wegen des Gewitters unterzugehen. Auf einem Segelboot ist man im Prinzip gut geschuetzt, denn Masten, Wanten und Stage bilden einen Faradayschen Kaefig, d.h. wer sich innerhalb dieses Bereichs aufhaelt und nichts Metallisches anfasst, bekommt keinen Stromschlag. Aber: ohne eine absolut gute Erdung dieser Metallteile – und die ist ganz selten auf Booten – faehrt der Blitz auf kuerzestem Wege ins Wasser, und dieser kuerzeste Weg ist durch den Bootsboden in den Kiel. Wobei er ein ziemliches Loch an einer ganz unpraktischen Stelle 😉 hinterlaesst. Das ist dann schon ein bloedes Gefuehl, wenn man – weit vom Land entfernt – mit so etwas rechnen muss. Wenn ich es konnte, habe ich vor aufziehenden Gewittern immer die Flucht ergriffen, auch wenn das eine Kursaenderung bedeutete in eine Richtung, in die wir gar nicht wollten. Aber damals schien das Gewitter rundum zu sein. Da war es nichts mit Kursaenderung, sondern nur mit Hoffen. Ist ja zum Glueck auch gut gegangen.
Euch wuensche ich schoenere Erlebnisse,
Pit
Schön, dass ihr Asyl gefunden habt!!! Gewitter in den Bergen ist ziemlich unheimlich und unter Bäumen erstrecht, ich hab mal gelernt, dass da das freie Feld besser sei und man sich ganz nah an die Erde kuscheln soll und ganz klein dabei machen. Nun denn, ihr habt es ja gut überstanden und darüber bin ich richtig froh.
Auch hier war es heute Morgen nur 13° bei Nieselregen und es wurde kaum wärmer, kein Trost, aber schade nach einer Woche Sommer!
Möge es das Wetter nun bald wieder besser mit euch meinen, schlaft schön in der Scheune und morgen früh ein Sonnenstrahl, der ich in der Nase kitzelt zum Erwachen…
liebe Grüsse
Ulli
Zwar kitzelt keine Sonne, aber wir haben kuschelig-warm geschlafen, trinken nun Kaffee und freuen und, dass es nicht regnet.
Der Schnee ist bis knapp hundert bis zweihundert Höhenmeter über uns gefallen.
Danke fürs Mutmachen.
Schnee??? Nee, bitte nicht! Aber der war ja über euch und es geht stromabwärts, puh … Glück gehabt!!!
Hoffentlich. Sooo hoch biste ja nicht, zum Glück!