Tag 1 | #Flussnoten

[SoSo] – Bereits haben wir einen Abstieg von etwa hundertfünfzig Höhenmetern in den Füßen, verteilt auf nur etwa 600 Meter allerdings, und somit war der Weg also sooo steil.

Sozusagen ungefähr ebensooo steil, wie jener Weg, den wir gestern ab Operalppass bergan gestiegen sind.

Ich hatte noch Witze gemacht, als der eine Wegweiser gelb am Hang entlang gezeigt hatte, während der von uns gewählte Weg mit weiß-rot-weißer Markierung einen Bergwanderweg signalisierte. Nun ja, mangelndes Kartenstudium führt zuweilen zu unerwarteten Grenzerfahrungen. Denn eigentlich wäre es mit dem gelben Weg so ählich gewesen wie mit dem Zug am Morgen. Hätten wir den Zug via Zürich statt via Olten genommen, wären wir ebenfalls via Luzern in Göschenen gelandet. Das gewählte Ticket galt aber für die Strecke über Olten. Zum Tomasee gibt’s keine Tickets, aber mindestens zwei Wege ab Operalppass. Man lernt eben nie aus.

Ich war schon so lange nicht mehr mit einer Bergbahn unterwegs, so lange schon, dass ich beinahe vergessen hatte, wie abenteuerlich und magisch so eine Fahrt sein kann. Alle Mitreisenden werden flugs zu einer Ah-&-Oh-Genuss-Gemeinschaft, die mit Fotoapparaten und Handys bewaffnet, je nach Aussicht, die gerade geboten wird, mal links mal rechts geschlossen aus den Fenstern staunt.

Am Oberalppass also, auf 2040 Höhenmetern, steigen wir, mit frisch gefüllten Wasserflaschen bergan. Den gelben Weg um den Berg lassen wir ohne Blick auf die Karten links liegen. Lai da Tuma stand schließlich auf dem Pfeil nach oben. Wozu zögern? Los geht’s.

Als wir etwas über zweihundert Höhenmeter auf ziemlich kurzer Distanz geschafft haben, bestätigt ein Blick auf die GPS-App, was Irgendlink schon geahnt hatte. Wir sind eigentlich falsch. Respektive auf einem andern als dem geplanten Weg zum Tomasee.

Umdrehen ist keine wirkliche Option. Wir picknicken und machen ein Nickerchen, bevor es immer steiler zur Sache geht. Steil ist das eine, steinig das andere. 

Das dritte aber – und dafür lohnten sich alle Mühen und Schweißtropfen – ist das Erlebnis.

Ich bin ja, was Sport angeht, eher ein fauler Mensch. Zwar bewege ich mich gerne, aber ein Fitnesscenter zu besuchen, würde mir nie einfallen. Bewegung muss mir Spaß machen, muss für mich im Kontext mit einer schönen Erfahrung stehen.

Bergfrühling ist etwas vom schönsten ever an Erlebbarem für mich.

Wir brechen die Steigung mäandernd und langen kurz vor sieben Uhr abends auf der Höhe an – auf 2739 m über Meer. So hoch bin ich noch nie aus eigener Kraft gewandert, gestiegen, geklettert. Weit über der Baumgrenze waren die Wege eigentlich meist nur dank der Weiß-rot-weiß-Signale als solche zu erkennen. 

Nach einer weiteren kleinen Pause geht’s abwärts. Denken wir. Nun ja, der Weg geht tatsächlich ein bisschen abwärts, aber nur um uns nachher noch steiler als vorher auf einen Berg zu führen, dessen Grat ein Bergwanderweg ist. Puh.

Und als es dann doch endlich abwärts geht, will keine rechte Freude aufkommen. Aufwärts japste ich, weil ich keine Kondition habe und die Luft je höher desto dünner wird. Abwärts japse ich, weil sooo steil runter ganz schön in die Beine geht. So mäandere ich eben auch abwärts. Grenzerfahrung. Ich glaube immer wieder, keinen Schritt mehr tun zu können. Immer wieder bleibe ich stehen, mich erholend, den Blick in die Ferne gerichtet oder auf den blauen Rucksack vor mir, der ähnlich langsam vorankommt. Irgendlinks Kondition ist bedeutend besser, doch ihm setzt die Höhe zu. Er hat Kopfweh.

Irgendwann erreichen wir doch noch die Badushütte, wo wir sehr freundlich willkommen geheißen werden. Wir bekommen Suppe und Bier, stärken unsere Lebensgeister und dürfen das Zelt einen Steinwurf von der Hütte aufbauen. Das Angebot, im Massenlager zu schlafen, lehnen wir ab. 

Es dunkelt bereits ein und ist deutlich kühler geworden, als wir das Zelt aufbauen. So früh und so erschöpft habe ich mich schon lange nicht mehr schlafen gelegt.

Es wird eine kalte Nacht und ich schlafe wenig. Gegen vier fängt es stark zu winden an und die Zeltwände sind feucht. 

Um halb sechs sind wir beide wach und beschließen, das Zelt abzubauen und statt in der Badushütte zu frühstücken, dies unten am Tomasee zu tun. Der Blick aus dem Zelt verheißt einen wunderschönen Tag.

Eine Viertelstunde dauere der Abstieg, steht auf der Tafel. Ich bin schon sehr bald sehr froh, dass wir gestern NICHT weiter gewandert sind. Diese kurze Stücke heute morgen hat den gestrigen Abstieg an Gefährlichkeit noch getoppt. Aber schön war er.

Wunderbar ist es hier, wo wir auf einem Felsen an der Sonne sitzend, am Solarpanel angeschlossen, unsere Artikel fürs Blog schreiben. Gefrühstückt haben wir genüsslich und ich verstehe die frühen Vögel nun ein klein bisschen besser, die drn Morgen preisen. Der Sonnenaufgang heute morgen um sechs Uhr war exorbitant. Dafür hat sich der falsche Weg zigfach gelohnt und ist zum richtigen geworden.

(Mehr Bilder gibt’s, wenn ich mal stabileres Netz habe. Meibe Tippfehler dürft ihr gerne kompostieren.)

Die Strecke auf Screenshots:

9 thoughts on “Tag 1 | #Flussnoten


  1. Wahrscheinlich wäre ich umgekehrt. Gratwanderung im wahrsten Sinn des Wortes ist nichts für mich.

    Um so mehr bewundere ich euch und beneide euch auch ein wenig um den Blick von da oben hinein ins Land, in die Welt. Und um die frische des Morgens da oben …


    1. Umkehren war quasi keine Option, da wir genau zwischen Anfang und Ziel waren. Den Spruch „Komm, wir kehren um!“ war unser gestiger running gag.


    1. Hihi, das würde mir umgekehrt auch so gehen. Wobei: ich bereue nichts.
      Allerdings merke ich nun so langsam jeden einzelnen Muskel.


  2. Hallo SoSo,
    wenn ich die Höhenlinien richtig deute, habt Ihr Euch aber wirklich für die steilste Strecke entschieden. Deine Ansicht über Fitness Center teile ich. Ich mag sie auch nicht, sondern ziehe das Radeln in der freien Natur vor. Ich setze mich auch nur selten auf unser eigenes Fahrradergometer, auch wenn das natürlich sehr gut wäre, wenn das Wetter nichts ist zum Radeln draußen. Aber es macht einfach mehr Spaß, wenn ich die Landschaft [auch wenn es letztens immer dieselbe war] sehen kann und ich den Wind um die Ohren habe.
    Hab’t wieder einen schönen Wandertag,
    Pit


    1. Öhm, stimmt wohl mit dem steilsten Abstieg. Gestern entdeckten wir eine Wanderroutenalternative zur befestigten MTB- Route. Sooo steil, aber halt schöneres Terrain. Tse.
      Danke dir!

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