»Wie wäre es«, sagt Irgendlink gestern im Zug nach Luzern, »wenn wir unsere Wanderung statt in Gletsch ganz oben an der Rhônequelle starten würden? Da kann man nämlich hinfahren.«
»Und da wir ja eh eine Spartageskarte haben, können wir ja hinfahren, wohin wir wollen! Gute Idee!«, ergänze ich.
Und suche sogleich auf sbb.ch nach einer Verbindung, indem ich als Zielort »Rhônequelle« eingebend. Das Ziel ist, oh Wunder!, mit dem gleichen Postauto erreichbar und nur wenigen Minuten von Gletsch entfernt.
Wir stutzen erst, als das Postauto ab Gletsch mit lautem Tütato auf der engen Passstraße ab- statt aufwärts fährt. Vorsorglich drücke ich den ‚Stopp auf Verlangen‘-Knopf damit der Chauffeur uns nicht aussteigen zu lassen vergisst.
Ausgespuckt werden wir schließlich vor einem ‚Hotel-Restaurant Rhônequelle‘ zwischen Gletsch und Oberwald und nicht, wie vorgesehen, ganz oben auf dem Furkapass auf 2429 m. über Meer mit Blick auf den Geburtsort der Rhône (2208 m. ü. M.).
Tja. Dumm gelaufen.
Es regnet zum Glück nicht mehr und wir sind – es ist kurz nach drei Uhr und wir waren etwa viereinviertel Stunden mit ÖV unterwegs – bärenhungrig, also setzen wir uns auf eine Bank am Wanderweg und picknicken erstmal.
Was tun? Das Postauto zurück nach Gletsch abwarten und von Gletsch zur ‚richtigen‘ Quelle hochfahren? Bei potentiellem Regen eine Hochgebirgswanderung oberhalb der Baumgrenze und ohne Regenunterstand riskieren? Oder von hier aus weiterwandern?
Im Hinblick auf die Regen- und Gewittervorhersage zwischen 16 und 18 Uhr beschließen wir das Scheitern als Chance und Wink des Schicksals zu betrachten.
Wir wandern abwärts. Es regnet bald sehr fein und eigentlich noch ganz angenehm. Mit Regenjacke (ich) und Pelerinchen (Irgendlink) und Rucksackregenschützen gehts eigentlich, bis der Regenfall dann doch ein wenig heftiger wird. Da taucht – aus dem buchstäblichen Nichts – ein Kapellchen auf. Dem Heiligen Niklaus gewidmet verspricht es Schutz. Wir bleiben dort bis der Regen weiterzieht und die Sonne wieder herausguckt.
Ein wunderschöner Bergwaldweg ist das seit wir losgewandert sind, große Holpersteine, schmale Weglein, weicher Waldboden, mehr runter als rauf. Ich juble über meine Wanderstöcke. Wir nähern uns links der nicht mehr ganz jungen Rhône, die sich wild und tosend über Felsengrund ins Tal stürzt, (deren Geburtsort wir zu sehen leider verpasst haben). Zuerst sehen wir ihr von weitem zu, von oben, dann irgendwann stehen wir ihr auf Augenhöhe gegenüber, während wir einen paradiesischen Märchenwald durchschreiten. Sind das Einhörner, da drüben zwischen den Bäumen? Es sind Pferde und die Szene ist unglaublich friedlich und wie gut es hier riecht nach dem Regen!
Da drückt der viel zu schwere Rucksack doch gleich weniger.
Ab Oberwald wird der Weg flach und als wir von Oberstein nach Obergesteln wandern, wird der Weg sogar öd. Schnurgerade zwischen Weideland zuerst und später an einem Golfplatz vorbei. Zum Glück ist es nicht Mittagszeit und 30 Grad, sondern abends um etwa sechs oder sieben Uhr und gemütliche 20 Grad. Dennoch spüre ich die zu kurzen letzten Nächte, die heutige lange, reizüberflutende Reise in Zügen und Postauto und das ungewohnte Wandern-mit-allem-im-Rucksack. Wir pausieren öfter mal, füllen in Obergesteln die beiden 2-Liter-Wasserflaschen auf und suchen, es ist schon fast acht Uhr und wir sehr hungrig, einen Lagerplatz. Eine Bank am Waldrand mit Blick auf die Berge gegenüber wird es schließlich. Unmittelbar ennet der Rhône, die hier schon recht zahm und eben rauscht, schlafen gerade noch ein letztes Mal die 30000 Pfadfinder•innen des diesjährigen Schweizer Bundeslagers (BuLa).
Zuerst kochen, essen, dann Zelt? Wir sind und schnell einig und werfen Hörnli (Pasta), Karotten und Paprika ins kochende Salzwasser, dazu gibts Salat. Mit jeder Mahlzeit werden die Rucksäcke leichter, juhu!
Es dämmert schon, als wir das Zelt aufbauen. Einrichten tun wir es später bei Taschenlampenlicht, denn erst gibts eine kleine Hängemattenzeit. Zuerst für Irgendlink, der das Teil mitgeschleppt hat, dann für mich.
Die Pfadis sind inzwischen ausgepowert und relativ ruhig, sadass wir kurz nach zehn Uhr unsere Lichter löschen.
Ich liege viel wach. Nachtwandernde Taschenlampenlichter wecken mich aus einem leichten Dämmerschlaf und die volle Blase schickt mich um halb zwei aus dem Zelt. Ich fröstle leicht, ich Frostbeule ich.
Ich muss irgendwann doch noch eingeschlafen sein, denn es ist hell, als ich vor sieben die Augen öffne.
Wir sitzen nun bei kühlen knapp 15 Grad bei ca. 1360 Höhenmetern auf unserer Bank und trinken Tee und Kaffee. Und sind gespannt auf den neuen Tag.