Die Furkastraße summt. Kaffee und Tee im Zelt. Hinter uns ein Wasserrauschen, einer jener vielen Zubringerbäche zur Rhone. Seit ein paar zig Kilometern nun schon am Fluss unterwegs. Wir wandern fast ausschließlich auf der linken Seite, flussabwärts gesehen. Auf der rechten verläuft die viel befahrene Straße zum Furkapass, liegen die Dörfer, führt die Bahnlinie, sind die Läden, pulsiert das Leben. Hier eher Stille, wenn auch nicht ganz unbelebt. Unser Zelt steht auf einem freien Gelände zwischen Mühlebach und Ernen, zwei Bänke, guter Blick nach Ernen. Wir hatten gestern mächtig Glück, überhaupt noch ein Plätzchen zu finden. Seit Reckingen gab es weder Campingplätze, noch Wildzeltmöglichkeiten. Über viele Kilometer kein ebener Platz, geschweige denn, irgendwie beschlafbar schräg, alles steil. Noch nicht einmal auf privaten Wiesen, die wir ohnehin als Wildzeltmöglichkeiten meiden. Es sei denn, es ergibt sich die Möglichkeit, zu fragen.
Der gestrige Tag. Leichtes Wegewandern, nur zur Mitte des Tages schmale Fußpfade. Zwei Mountainbiker kamen uns in kurvigem Gelände entgegen und wir warteten in einer Begegnungsbucht, kein Sichtkontakt. Vergebens. Wie auch die Mountainbiker warteten und so ward die Geschichte geboren vom Mountainbiker und vom Wanderer, die seit Jahren aufeinander warten irgendwo auf einem ultraschmalen Singletrail in den Alpen. Bärtige, gebrechliche Wesen voller Rücksicht. Unser Pfad führte uns auf den Spuren von Cäsar Ritz durch die Berge. Alle paarhundert Meter waren rote Infotafeln aufgestellt, auf denen man den Lebensweg des berühmten Hoteliers lesen konnte. An einer Stelle war eine Schiefertafel installiert, auf der sich die Wandernden ihre Lebensziele notieren konnten, wie einst unser Held Cäsar, der sich nicht abbringen lies von seinem Lebensziel, der im Paris der Jahrhundertwende 19tes/20tes Jh. ein Hotel im aristokratischen Stil eröffnete. Das Ritz. Ich schrieb #flussnoten auf die Schiefertafel. Man muss den Ball flach halten.
Der Rottenweg im Flusstal ist ein meist für Radler und Wanderer freigegebener breiter Waldweg. Nachmittags schaffen wir es gerade rechtszeitig aus den Wäldern wieder runter zum Fluss zu einem Pcknickplatz, als ein Gewitter und leichter Hagel runtergeht. Den Picknickplatz hatte ich wohlweislich in der Projektkarte als möglicche Wildzeltmöglichkeit markiert. Es gab zwar keine Hütte, den Platzregen konnten wir trotzdem gut aussitzen zwischen Landmaschinen in einem engen, tunnelförmigen, mit einer blauen LKW-Plane überzogenen Schuppen. Gemütlich geht anders. Ich nutzte die Gelegenheit, die Trinkflasche unter dem Ablauf der Plane zu füllen.
Weiter gehts am Fluss. Nach dem Unwetter viele nasse, bis zur Poritze mit Schlamm bespritzte Mountainbiker, ein anderer Wanderer, wohl auch halbwegs trocken geblieben. Man muss sich nicht groß sorgen im Tal. Unterschlupf vor Regen findet man immer. Seien es zur Not auch nur ein paar dicht wachsende Nadebäumen, einer Felsritze, oder sonst iner trockenen Nische. Aber wie gesagt, gemütlich geht anders (in unserem blauen Tunnel der agrikulturellen Maschinenlagerung hätten wir sogar die Möglichkeit gehabt, die orangene Hängematte aufzuspannen. Das wäre ein bizarres Bild geworden (warum nur taten wir es nicht (nun, die Sorgen im Gewitter sind eben woanders gelagert, als beim easy Hängemattenbaumeling)).
Über kleine geteerte Straßen nach Mühlebach, vorbei an einem einzelstehenden Haus, von dessen Terrasse Stimmen dringen und der Duft von Hasch oder Gras. Ich scherze, wir könnten fragen, ob wir bei ihnen im Garten wildzelten dürfen. Frau Soso sagt, wo gekifft wird, lass dich ruhig nieder, denn böse Menschen kennen keine Hanfprodukte.
Im Antlitz von – mutmaßlich – Ernen mit lecker sonntags bis 19 Uhr geöffnetem Lebensmittelladen wandern wir weiter. Man könnte ein paar schwere Köstlichkeiten für die Nacht kaufen, Bier und Schokolade, Morarella, Obst.
Ernen entpuppt sich als Mühlebach, ein Ortsteil von Ernen, wiederum zugehörig zur Gemeinde Goms, alles klar?
Es ist kompliziert in der Schweiz. Den guten alten Spruch, das ist von Kanton zu Kanton verschieden, kann man eins zu eins herunterbrechen auf: Das ist von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Zum Beispiel das Jedermannsrecht, das Wanderinnen und Wanderern eine oder zwei Nächte wild zeltend garantiert. Jede Gemeinde schränkt es anders ein und es gibt wohl kaum eine Gemeinde, die es gar nicht einschränkt. In Mühlebach empfangen uns am großen, theoretisch gut zeltbaren unbefestigen Parkplatz am oberen Ortsende große Zelten-verboten-Schilder, sowie Wohnmobile, Wohnwagen und alles andere auch verboten, was so durch die Lande tourt. Ein einsames Wohnmobil rebelliert mit ausgefahrenem Fußtritt. Gewagt gewagt vs. dreist dreist.
Ich schaue mir die Hängebrücke an, die über die Rhoneschlucht führt, während Frau Soso an einer Bushaltestelle zusammen mit den Rucksäcken ruht. Frage auf dem Weg dahin bei einem B&B, was denn so die Zimmer kostet, oha, über hundert CHF, und ob es Zeltmöglichkeiten gibt. Die Wirtin sagt, der Dorfplatz sei gesperrt, seit sich einige daneben benommen haben, tja und deshalb müssen nun alle darunter leiden.
Wir schleppen uns weiter durchs Dörfchen, das als eines der schönsten Dörfer der Schweiz gilt. Ein verwinkeltes Etwas mit steilen schmalen Straßen und Holzbauten allüberall. Zwei Brunnen, das Geburtshaus eines Kardinals, dessen Name ich mir nicht gemerkt habe, eine Kunsthandwerkerin schleift etwas Metallisches, hockend neben einer Mauer. Sieh nur, da, das wäre ein schöner Zeltplatz, mitten im Dorf. Zwei feine ebene Wiesen direkt am Sturzbach. Niemand, den man fragen könnte. Die meisten Menschen im Ort snd hnehin touristen, die sich in den schick hergerichteten alten Holzhäusern für ein paar Tage eingemietet haben.
Wir wandern weiter über einen schmalen Pfad, der zu den Wiesen jenseits des Dorfs führt und finden am Ende des Waldwegs dieses, unseres Picknickplätzchen. Gut einsehbar zwar, aber was sollen wir machen, es gibt sonst keine Möglichkeit. Sind wir legal, gedeckt durch das Jedermannsrecht, oder illegal, gebannt durch die Einschränkungen des Jedermannsrechts, die wir den paar Menschen verdanken, die sich Müll hinterlassend, respektlos Lärmend daneben benahmen? Wir wissen es nicht und dieses Unwissen baumelt damoklesk immer über uns. Ein Mainzer Wanderpaar hält ein Schwätzchen mit uns. Eigentlich wollten sie in die Pyrenäen zum Wandern, aber das Virus hatte sie drei Wochen lahm gelegt, die Fitness in die Knie gezwungen, die ersten beiden Urlaubswochen flach liegend zu Hause im Bett und nun, wieder genesen, haben sie sich für einen kurzen Trip in die Schweiz entschieden, machen Tageswanderungen, erholen sich langsam von der – ich höre es immer wieder – nicht gerade glimpflich verlaufenden Erkrankung.
Wir schwadronieren noch ein bisschen übers Wildzelten und wie kompliziert das ist und ich überlege, einen Artikel zu schreiben zu dem Thema, in dem ich Hotelvater Ritz, die Welt der Reichen und unsere einfache kleine Wanderwelt konfrontiere, aber der Artikel würde zu kompliziert, als dass ich das unterwegs leisten könnte. Auf einer der Tafeln am Weg las ich über das tragische Ende von Cäsar Ritz, unheilbar krank und die letzte Zeit seines Lebens siechend und da wurde mir klar, wie gleich wir doch alle sind, ob arm, reich, im Wohnmobil, Zelt oder Hotel, am Ende verlassen wir den Planeten in richtung Ewigkeit und nichts ist mehr da, worüber wir uns freuen, ärgern, sorgen könnten, auf was wir hinfiebern oder was wir unbedingt vermeiden wollen. Das zu erkennen ist noch nicht einmal tröstlich. Es ist einfach.
Gegen Dunkelheit bauen wir das Zelt auf, kochen Risotto auf dem Trangia (eine Sauerei, aber lecker).
Mit dem Wassersack, der uns auch als Duschsack dient, mache ich mich auf den Weg, Wasser zu suchen. Erster Kontakt mit den Bissen, bzw. Suonen, also den typischen Bewässerungskanälen, die auf den Höhenlinien an den Hängen verlaufen. Ein schmale holpriger Pfad, gestützt von mächtigen Bäumen führt neben einer trockenen Rinne den Berg entlang. Gutso, denke ich, das muss zum Sturzbach führen und zwar auf ebener Strecke. Die Suone ist nicht mehr in Betrieb, auch ziemlich verfallen. Zum Ende hin, besser gesagt zum Beginn beim Sturzbach, kraxele ich über umgefallene Bäume und ein Geröllfeld und werde aber mit reichlich frischem, trinkbarem Wasser belohnt. Das Badezimmer ist gesichert.
Die Nacht: Gewitter und Wetterleuchten. Die Furkastraße ist nicht zu hören. Falls ich einmal mit dem Fahrrad um die Schweiz (#UmsLand) radeln sollte, würde ich wohl am besten nachts fahren.
Sekunden zählend und irgendwie vertrauend, dass uns der Blitz nicht trifft, schalfe ich ein.